Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft,
erstmals in der Geschichte ist mit Ihnen, Frau Grotheer, eine Frau zur Präsidentin dieses Hauses gewählt worden. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zum diesem hohen Amt – und uns allen gratuliere ich, dass wir bei der Repräsentanz von Frauen in der Politik einen weiteren Schritt nach vorn gemacht haben.
„Schneckentempo“ – mit diesem Bild umschrieb bereits 1980 die Abgeordnete Hede Lütjen das Tempo, in dem sich die Gleichstellung vollzieht. Anlass war damals die Debatte um die Errichtung der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau.
Heute, nahezu vier Jahrzehnte später, stelle ich Ihnen nun den 21. Bericht dieser Zentralstelle – kurz ZGF – vor. Gerne würde ich sagen: Der Auftrag ist erledigt. Aber die Realität sieht anders aus: Als das Europäische Institut für Gleichstellungs-fragen 2017 den Gleichstellungsindex vorstellte, bemühte es ebenfalls das Bild der Schnecke.
Deutschland kann sich keineswegs zurücklehnen: Wir rangieren knapp unter dem EU-Durchschnitt auf Platz 12. Und auch wir in der ZGF müssen für das Land Bremen festhalten: Selten können wir hinter ein Thema den Haken für ‚erledigt‘ setzen.
Für die Berichtsjahre 2016/17 ist zu sagen:
Frauen sind nach wie vor strukturell am Arbeitsmarkt benachteiligt. Der Gender Pay Gap, also die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen, ist nicht wegzureden. Frauen sind im Alter armutsgefährdeter als Männer. Führungsposten in Unternehmen sind nur zu einem Viertel von Frauen besetzt – so das IAB-Betriebspanel 2016. Und wenn wir uns hier im Parlament umschauen, sehen wir: keine Parität der Geschlechter. Nur ein Drittel der Abgeordneten sind Frauen.
Die Liste ließe sich um zahlreiche Punkte erweitern. Denn Geschlechter-Ungerechtigkeit ist ein strukturelles Problem. Sie zu beseitigen, erfordert politischen Willen, viele, ressortübergreifende Ansatzpunkte und ganz konkrete Gegensteuerungen.
Politik und Gesellschaft sind in Gleichstellungsfragen gleichermaßen gefordert. Selten sind die Dinge so offenbar wie jüngst bei der Bremer Eiswette. Fortschritt sieht anders aus und gelebte Tradition auch. An der Diskussion zeigt sich deutlich, welchen Weg wir in Sachen Gleichstellung noch vor uns haben. Eine Bürgermeisterin nicht einzuladen, weil sie eine Frau ist – missachtet die demokratischen Grundwerte. Sie haben das Thema heute nicht umsonst auf der Tagesordnung.
Nun konkret zu unserem Bericht und was daraus folgen sollte:
Die gute Nachricht zuerst: Wir können im so wichtigen Schwerpunktfeld Arbeit feststellen, dass es bei einem von der ZGF seit Langem benannten Thema vorangeht: Die Alleinerziehenden, zu 90 Prozent Frauen, werden endlich als Zielgruppe von Arbeitsmarktpolitik in den Blick genommen. Was ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt und an Arbeitsmarktprogrammen verhindert, ist analysiert. Hier gilt es jetzt dranzubleiben, bedarfsgerechte Arbeitsmarktmaßnahmen zu ergreifen und diese nicht nur modellhaft, sondern in der Fläche anzubieten, um einen messbaren Effekt zu erzielen und damit Frauen und ihren Kindern neue Chancen zu eröffnen.
Ich appelliere an Sie und an den Senat, die existenzsichernde Erwerbsarbeit für Alleinerziehende weiter auf Ihrer Agenda zu haben und somit der hohen Armut und Armutsgefährdung von Alleinerziehenden und ihren Kindern in Bremen nachhaltig zu begegnen.
Eigenständige Existenzsicherung basiert auch auf einer guten Ausbildung. Wir sehen seit Jahren, dass sich das Berufswahlverhalten von Mädchen und Jungen kaum verändert, da es von tief verwurzelten Rollenklischees beeinflusst wird. Deshalb haben wir auch im Berichtszeitraum mit Projekten wie dem Hochschulschnupperstudium für Mädchen in technische Berufe in Bremerhaven oder der Aktion „Klasse-Frauen“ an Bremer Schulen Gegengewichte gesetzt, um mehr Perspektiven zu eröffnen.
Die ZGF wird im Rahmen eines größeren Modellprojekts hier neue Impulse setzen. Denn die Berufsorientierung markiert einen Dreh- und Angelpunkt, an dem entscheidende Weichen gestellt werden – zu häufig führt er Mädchen in schlechter bezahlte Berufe oder mit nur geringen Aufstiegschancen. Deshalb ist eine gendersensible Berufsorientierung – neben der Aufwertung frauendominierter Berufe – so wichtig.
Der Blick in die EU zeigt uns übrigens, dass es anders geht: Andere Länder sind hier um einiges weiter. Deutschland landete im Ländervergleich beim Gleichstellungsindex im Bereich Wissen lediglich auf dem viertletzten Platz. Die Begründung wörtlich: „aufgrund der anhaltenden und zunehmenden Segregation der Studienfächer nach traditionellen Geschlechterrollen.“ Das ist ein ernstzunehmender Handlungsauftrag – auch für das Land Bremen!
Ein weiterer, wichtiger Bereich unserer Arbeit ist die gegen Gewalt. Nach wie vor sind Frauen und Mädchen hier besonders betroffen. Sie sind Ziel von Gewalt aufgrund ihres Geschlechts. Wie die Realität aussieht, zeigt Ihnen der 7. Bericht der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe zur Häuslichen Gewalt auf, der unter Federführung der ZGF entstanden ist und heute ebenfalls debattiert wird. Mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention haben sich Bund und Länder 2017 zu einem klaren Fahrplan bekannt. Er setzt Verbindlichkeiten, die jetzt in Bremen und Bremerhaven mit einem Landesaktionsplan umgesetzt werden müssen. Dafür müssen Ressourcen bereitgestellt werden. Eine unabhängige Koordinierungs- und Monitoringstelle ist unerlässlich und entspricht den Vorgaben der Istanbul-Konvention.
Konkrete Maßnahmen, wie der barrierefreie Zugang zu den Einrichtungen des Hilfesystems, Gewaltschutz und Prävention in Einrichtungen der Behindertenhilfe sind zwingend erforderlich. Ebenso die Erweiterung der vertraulichen rechtsmedizinischen Spurensicherung auf Opfer von häuslicher Gewalt. Ein gewaltfreies Leben darf kein Privileg sein, es ist ein Menschenrecht.
Herausstellen möchte ich unser Schwerpunktprojekt Frauen und Flucht, das wir im Rahmen des Integrationskonzepts des Senats initiiert und umgesetzt haben. Ein Kraftakt, der nur durch zwei zusätzliche, zeitlich befristete Mitarbeiterinnen gestemmt werden konnte. Das Projekt wurde durch einen Beirat von geflüchteten Frauen begleitet. Im Berichtszeitrum konnten in den Bereichen Arbeitsmarktintegration, Gewaltschutz und Gesundheit Lösungen und Wege für eine gelingende Integration, ein gutes Ankommen im Land Bremen erarbeitet werden. Das Projekt ist inzwischen abgeschlossen, die Ergebnisse wurden 2018 an die Politik übermittelt.
Jetzt setzen wir auch auf Sie, sehr geehrte Abgeordnete: Die aufgezeigten Wege müssen weiterverfolgt und umgesetzt werden. Bereits Etabliertes wie zum Beispiel die Koordination des Gewaltschutzkonzeptes muss erhalten bleiben. Integration wird nur gelingen, wenn wir an den Themen dranbleiben. Dafür braucht es gemeinsame Anstrengungen. Diese Investition wird sich auszahlen.
Sie beraten heute auch den 5. Fortschrittsbericht zum Gender Mainstreaming, einem zentralen Instrument, um die Durchsetzung der Gleichberechtigung voranzubringen. Es berücksichtigt Frauen wie Männer gleichermaßen, um auch an dieser Stelle mit einem gängigen Missverständnis aufzuräumen.
Bremen tat gut daran, dieses Instrument 2002 einzusetzen – aber wo stehen wir heute? Der Bericht macht deutlich, dass in den Ressorts die Umsetzung sehr unterschiedlich erfolgt. Wir kommen voran, sind aber von einer Selbstverständlichkeit noch weit entfernt. Auch der Parlamentsausschuss, der sich eingehender von den Ressorts dazu berichten ließ, stellt in seiner Stellungnahme fest: „In keinem der Ressorts gibt es eine verbindliche Strategie zur Umsetzung von Gender Mainstreaming.“
Gender Mainstreaming kann mehr bewirken, wenn es in der Praxis nicht nur formal abgehandelt wird, sondern Grundprinzip des Handelns ist. Wir brauchen eine systematische Verankerung und Steuerung des Gender-Mainstreaming-Prinzips in allen Ressorts und dafür explizit hinterlegte Ressourcen. Das ist das eine. Entscheidend aber ist auch: Bremen braucht übergeordnete gleichstellungspolitische Ziele; mit festen und messbaren Größen, wie z.B. die Steigerung der Beschäftigungsquote von Frauen auf Bundesdurchschnitt oder die Einführung eines Paritätsgesetzes, um nur einige Ziele zu nennen.
Denn – und damit komme ich zurück zum großen Ganzen: Geschlechtergerechtigkeit ist unverzichtbar, sie ist ein Kern von Demokratie. Erst wenn Frauen und Männer gleiche Chancen auf Teilhabe und Gestaltung von Gesellschaft haben, sind und haben wir eine funktionierende Demokratie.
Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie muss erneuert, erstritten, erkämpft und gelebt werden. Ob dies gelingt, hängt zukünftig noch stärker als bisher von der Ausgestaltung von Digitalisierungsprozessen ab. Digitalisierung bestimmt unser Leben und Arbeiten bereits jetzt maßgeblich; berührt Freiheitsrechte, Fragen der Beteiligung, der Sichtbarkeit und unsere Grundwerte. Sie birgt neue Chancen, aber auch ein erhebliches Potenzial an Diskriminierung. Wir können hier nicht warten: Das Thema Gleichstellung muss jetzt systematisch berücksichtigt und von Anfang an mitgedacht werden. Wir wollen nicht hinterher, wie bei so vielen Themen, aufräumen und uns an Dingen abarbeiten, die im Prozess nicht hinreichend in den Blick genommen worden sind. Die Digitalisierung im Land Bremen muss gendergerecht gestaltet werden, und zwar jetzt. Der digitale Wandel vollzieht sich rasant. Mit dem Schneckentempo muss jetzt Schluss sein!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.